Tereza Kotyk, 1999

“Für Case, der für die körperlosen Freuden des Kyberspace gelebt hatte, war es der große Fall. In den Bars, in denen er als Super-Cowboy verkehrt hatte, zeigte die Elite der Branche einen gewisse Gelassenheit und Verachtung gegenüber dem Fleisch. Der Körper war nur Fleisch, Case wurde ein Gefangener seines Fleisches.”



William Gibson, Neuromancer1

Die Ausstellung von Margret Wibmer ist von einer Räumlichkeit erfüllt, die ich eine Virtuelle Vision nennen möchte. Eine Virtuelle Vision einer Körperlichkeit, die, einer Bewegung gleich, eine Kommunikation darstellt, die durch die Reaktion der BetrachterInnen ausgelöst wird.

Gleichwie einem Publikum eine Gegenbewegung entlockt wird, bedarf es derselben Interaktion mit den Kunstwerken, die den BetrachterInnen nach einer individuellen Zeit eine Empfindung entlocken, die jene in sich gespeichert haben. Die Empfindungen und Efahrungen werden ihnen, wie in einem download, offenbart. Eine virtuelle Realität des Anderen, das aber wir selbst sind.

Wibmer’s Kunstwerke, als objektivierte Empfindungen, können individuell über Zwischenwelten bzw. verschiedene Medien abgerufen werden. Vorwiegend ist es das Material des Gummis, das als Träger und als Vermittler dient und in das wir unseren Blick deponieren können: es ist Träger einer Welt der Information, der Kommunikation, der Erfahrung.

Man verlgeiche hierzu sogenannte interfaces, die nach Axel Wirths “[…] auf die menschlichen, Bedürfnisse und Rezeptionsfähigkeiten hin konstruierte Schnittstellen […]” sind. “Das perfekte Interface bietet in diesem Zusammenhang einen fließenden Übergang zwischen dem realen Raum und der konstruierten medialen Wirklichkeit, die man auch als elektronischen Raum bezeichnen kann.”2

Durch jene wird einen Beziehung zum eigentlichen Kunstwerk, den Formen von weichen Innenkörpern, wie in der Arbeit ‘Wartezeit’ aufgestellt, so dass das Material auch die Position einer Console – einer ‘Zwischenberührung/Vermittlung’ – übernehmen kann.

Hier sollte die interactive “Virtual Reality Oper” von Margret Wibmer (gemeinsam mit Günther Zechberger) – ‘off the wall’3 – Erwähnung finden, in der die BenützerInnen über interfaces eine virtuelle Skulptur im Gummianzug in einem virtuellen Raum bewegen können, der von Zechberger mit einer Klangstruktur definiert wird und sich aus den jeweiligen Bewegungsmustern zusammensetzt. Der Gummianzug bildet im Zusammenhang mit den entstehenden Klängen den einzig ‘wirklich organischen’ Charakter – gleichzeitig ist jenes Material, der Gummi, im Gegensatz zum Diskurs des körperlosen Zeitalters, eine Reminiszens an den Körper, ein Fetisch. Das Reale und das Imaginäre gehen ineinander über, der Fetisch als Mnemosyne zielt auf ein intersubjektives Verhältnis.

In ‘off the wall’ kommt eine fremde Repräsentanz zum Tragen, die wir einnehmen, beherrschen und gar ‘sein’ wollen, da wir das eigentliche System

behrrschen möchten – wir selbst sind uns ‘big brother’ und inszenieren die Matrix als die ‘raison d’être’.

Hans Belting “[…] hatte während der Tagung ‘Was ist ein Bild?’ die Annahme, der Frage nach dem Bild als einer Frage nach uns selbst, zugunsten eines Körperbezuges einzulösen versucht den er als ‘raison d’être’ jedes Projektionsbildes begreift und der sich in Abhängigkeit von den Bildmedien als unbeschränkt wandlungsfähig erweise.”4

Die Körperbezogenheit wie auch die wandlungsfähige Identitätssuche in unterschiedlichen Medien zieht sich durch das Werk von Margret Wibmer. Sie entwurzelt jegliche Annahme der Identitätsfindung, wie man dies schon in den Fotoarbeiten von 1993 erkennen kann, in denen sie Porträts aus der Presse- und Modefotografie auf einem Gummiuntergrund zeigt, deren Reminiszenz an den Körper nur die Pose ist: ‘was zurückbleibt ist das nackte Bild.’5 Zusätzlich fügte sie statements berühmter Künstler hinzu, wodurch der Erkennungseffekt noch mehr verhallte.

In den Gummiarbeiten zu jener Zeit, die in Öffnungen und Bedeckungen (‘Port view – point of view’; ‘destination of identity’) durch die entlockenden Empfindungen ihre Zuschreibungen erfahren, werden Ansätze für ihre folgenden Auseinandersetzungen deutlich. Eine Frau mit einem übergezogenen Hemd oder eine Person in einem Gummianzug, anonym in einer zweiten Haut.

Einen zusäztlichen Aspekt bildet ohne Zweifel die Erotik, die gleich Identität, Befinden, Körperlichkeit und Materialität zu den essentiellen Fragestellungen, gehört. In ‘Mystery in principle cannot be undstood’ von 1993 kann man die Erotik an einem hinunterwandern spüren – wie halterlose Strümpfe, die als ‘zweite Haut’ Beine bedecken, aber gleichzeitig selber solche bilden.

Ebenso wie Material, Zusammenstellung und Ausschnitt entheben die jeweiligen Titel der Arbeiten diese einer genauen Zuschreibung, machen sie zum Gegensatz von Metaphern – und lassen sie folglich in einer Arbeit wie ‘off the wall’, in einem geschlechtslosen Gummianzug einer virtuellen Welt, kulminieren.

Wir können von einer weiteren Dimension sprechen, vor allem bezüglich der Fotoarbeit ‘performance for no audience II’, die jenen bei ‘off the wall’ besprochenen Anzug zeigt.

Besonders dieses Werk trägt jene Eigenschaften, von denen ich hier spreche: die Bewegung eines amphibisch anmutenden Körpers, den man unter einer bewusst drapierten Gummischicht eines Anzuges ausmachen kann. Ein momentaner Stillstand in der Bewegung, der zum Einstieg in eine andere Wirklichkeit auffordert – wie leuchtende Amphibien oder Zellen in der Dimension des Wassers.

Im selben Moment bleibt die Assoziation einer keimfreien Atmosphäre, wie in der Zukunft des Sciene Fiction, der Raumfahrt und der Technolgien oder uns vielleicht näheren Bereichen, wie des Films, (man denke an Filme wie ‘Gattaca’ oder ‘Matrix) und der Musik.

Der Gummi wird zur zweiten geschmeidigen Haut, zu einer Referenz an den Körper, der auf uns selbst verweist, als diejenigen, die ihn mit entworfen haben. Falten, Rundungen und Öffnungen geben sich hier preis, in Bewegungen, die eine

Empfindung gespeichert haben oder als Gegenbewegung zurückbleiben. Dahingehend ist die Umsetzung dieser Fotoarbeit ‘performance for no audience II’ in der Tat vergleichbar mit dem virtuellen Raum, der nach Philippe Quéau ‘niemals stabil’ [ist]. ‘Er ist immer in Bewegung’. 6 Die Grenzen der erlebbaren Wirklichkeiten sind somit verwischt, die Subjekt/Körper/Objekt Positionen werden infolge austauschbar und fordern unterschiedliche Wahrnehmungsprozesse. Philippe Quéau formuliert diesen Zustand wie folgt: ‘Das Virtuelle – eine Welt in der ich dem Anderen ‘begegne’ – ist ein multidimensionales Hyperbild, das verschiedenen Ebenen des Sinns und der Wahrnehmung vermischt. Das Virtuelle ist essentiell beweglich, metaphorisch, metamorphotisch. Das Virtuelle verknüpft das Bild und den Körper, die Geste und das Visuelle, die Bewegung und das Gedäuchtnis auf eine neue Weise.”7

So nahe uns selbst kommt es im elektronischen Raum von Margret Wibmer nur auf das richtige download an……

“[…] Case drückt den Schalter und war augenblicklich wieder in der Matrix. Nachbilder des Softwareverleihs spukten einige Sekunden lang durch die knisternde Stille des Kyberspace.”


William Gibson, Neuromancer

The text by Tereza Kotyk was published in the Differenz exhibition catalogue , Innsbruck 1999

NOTES

 1.Gibson, William; Neuromancer. München 1998. S. 15

2. Wirths, Axel; “Ort und Raum’. In ‘Der elektronische Raum – 15 Positionen zur Medienkunst. Kunst – und Aussstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland (Hg) – Ostfildern, 1998. S.

3. Schmidt, Julia; Feindt, Hendrik; “Was ist ein Bild – Tagesbericht. In: Kritische Berichte 2/98. S. 60

4. Delfgaauw, Leo; Tranformationen. In ‘Q-riosity. Ausstellungskatalog Margret Wibmer. Innsbruck 1993; S. 4

5. Quéau, Philippe; Virtuelle Visionen. In: Kunstforum International. Körper II. Bd. 133. Februar – April 1996. S. 126 – 129

6. Ebda.

7. Delfgaauw, Leo; Tranformationen. In ‘Q-riosity. Ausstellungskatalog Margret Wibmer. Innsbruck 1993; S. 4