Reinhard Braun, 1998

“Ob nun durch Bildüberflutung oder durch die Beschleunigung des Erscheinens und Verschwindens der Dinge, die Augen kommen nicht mit.”

“Material und Geste, Raum und Bewegung sind in diesem Körper – von dem kein Blick ausgeht – unauflöslich verschränkt. Als Kunst-Körper wird er selbst zu einem Interface zwischen dem Raum der Betrachter*innen und dem “eigenen” Raum, der zwischen real und virtuell einen zwiespältigen Status einnimmt.”

“Material and gesture, space and movement are inseparably intertwined in this body – from which no gaze emanates. As an art-body, it itself becomes an interface between the space of the viewer and the viewer’s “own” space, which occupies an ambivalent status between real and virtual.”



Reinhard Braun

Image: Performance for no audience, 1998, Duratrans, 100 x 80 cm, Ed. 3. MUSA Sammlung der Stadt Wien.

“Die Vermittlungsinstanz zwischen Subjekt und Blick, die bestimmt, wie das Subjekt ‘fotografiert’ (d. h. gesehen) wird, wie es die Funktion des Blicks erfährt und wie es sieht, nennt Lacan den Bildschirm. (…) Damit ist auch impliziert, dass es keine sogenannte ‘direkte’ Wahrnehmung der Dinge geben kann, sondern nur eine durch den Rahmen bzw. Bild-Schirm kulturell intelligibler Bilder vermittelte (…)”.

Man muss sich nicht mit Medientheorien beschäftigen, um ständig auf Blickverhältnisse zu stossen. Seit Plato wird Erkenntnis als eine Leistung des Blicks beschrieben. Das Individuum ist seitdem nicht mehr primär durch den Körper in seiner Umwelt verortet, es eignet sich diese Umwelt vielmehr durch den Blick an. Doch sind es heute keine Schattenbilder mehr, von denen dieser Blick getäuscht wird. Gegenwärtig sind es fluktuierende, energetische Oberflächen von Bildmaschinen, zunehmend fluide Interfaces von Mediensystemen, die das Individuum in ein berührungsloses Projekt einer fortschreitenden Transparenz der Welt zwingen. Oberflächen und Interfaces, die darüberhinaus Blickverhältnisse überschreiten und, in einer Umkehrung von 400 Jahren Bildgeschichte, wieder beginnen, den Körper bzw. ein spezifisches Konzept des Körpers in ihr “Spiel” von Sichtbarkeit, Transparenz und Manipulation zu verstricken: Interaktion und Virtualität sind die Stichworte dieser Modulierung des Individuums/der Körper zu einem Gegenbild – einem Spiegel? – von Medienbildern.

“Performance for no Audience” (1998) von Margret Wibmer beschreibt am Übergang von Körper, Material und Raum eine Inszenierung dieser Schnittstellen für das Medium Fotografie. In einen spezifisch entworfenen gelben Gummianzug gehüllt mutiert der Körper zur Skulptur und Oberfläche, oszilliert zwischen Individuum und Objekt und damit sozusagen zwischen verschiedenen Koordinatensystemen und Diskursen. Durch diesen skulpturalen, semi-individuellen Körper/Gegenstand wird ein breiter Assoziationsraum von Fetischismus bis Biotechnologie erzeugt. Als wesentliches Moment erscheint die Unmöglichkeit einer Fixierung dieses Körpers, einer eindeutigen Ein- und Zuschreibung. Darüberhinaus wird in den Fotografien ersichtlich, dass dieser virtualisierte Körper in einem ständigen Prozess der Bewegung und Mutation steckt, die durch die plastische Qualität des Materials angezeigt wird. Bild und Körper,

Material und Geste, Raum und Bewegung sind in diesem Körper – von dem kein Blick ausgeht – unauflöslich verschränkt. Als Kunst-Körper wird er selbst zu einem Interface zwischen dem Raum der Betrachter/innen und dem “eigenen” Raum, der zwischen real und virtuell einen zwiespältigen Status einnimmt. “Off the Wall” (1999), eine Zusammenarbeit mit Günther Zechberger, verschärft die Zeitdimension dieses Skulpturenkörpers: als Virtual Reality Oper für das Web und in der Folge als Cd-Rom konzipiert, ist es hier der/die User/in, der/die in einer direkten Bespiegelungs-möglichkeit des Kunstkörpers Bild- und Raumsequenzen produziert. Die Geschwindigkeit der Bewegung wie die Anzahl der möglichen Blickwinkel ist frei wählbar. Der Körper wird vollständig aus seiner räumlichen Definition gelöst und disponibel, oszilliert zwischen (virtuellem) Raum, (temporärer) Oberfläche und innerhalb einer spezifischen Klangsprache hin und her. Welchen Körper umkreist der (technologische) Blick der User/innen hier eigentlich bzw. welcher Körper wird durch die Navigation der User/innen produziert? Welche Räume besiedelt dieser Körper?

Teilt dieser Körper Räume mit den Subjekten, die auf ihn zugreifen, ihn herstellen? Vor allem letztere Fragestellung thematisiert die geplante Realisierung von “Off the Wall” als Rauminstallation, bei der das Publikum sich inmitten der Bühne befindet, Regisseur, Bühnenbildner, Dirigent und Choreograf gleichermaßen ist. Anhand dieses konzeptuellen Prozesses von Bildschirmoper über Online-Oper zur Rauminstallation wird deutlich, dass sich das Interesse Margret Wibmers um Schnittstellen dreht, Schnittstellen zwischen Körpern, ihrer Oberflächen und deren Verschränkungen mit Räumen, mit Blicken und Klang, und nicht zuletzt mit kulturellen Zeichensystemen.

“Das Virtuelle ist essentiell beweglich, metaphorisch, metamorphotisch. Das Virtuelle verknüpft das Bild und den Körper, die Geste und das Visuelle, die Bewegung und das Gedächtnis auf eine neue Weise.” Daraus erhebt sich allerdings keineswegs der Körper in jener Form, wie wir ihn zu bezeichnen oder zu erfahren gewohnt sind, wie ein Phönix aus der Asche: was entsteht, ist ein ebenso metaphorischer, metamorphotischer – post-humaner – Körper als Gadget, als Servomechanismus von Medienformationen. Die Frage nach einer möglichen Desorientierung des Blicks richtet sich also nicht nur auf jenen Blick des Individuums, des Subjekts, sondern fragt auch danach, wie dieses Subjekt die Funktion des Blicks erfährt, wie es selbst zu einem Gegenstand, einem Objekt von Blickverhältnissen wird, in die es permanent verstrickt ist und als dieses Objekt selbst ein unauflösliches Amalgam von Blick und Körper. Es sind nicht nur die Bilder, die wir anblicken, es sind auch die Bilder, die “uns” anblicken. Und dieser “Blick der Bilder” ist es, der zunehmend die Organisation und Ordnung von Umwelt, Öffentlichkeit und Gesellschaft bestimmt, der den Individuen und Körpern ihre Stellung zuweist. Indem wir gesehen werden, repräsentiert werden, formieren sich unsere Blicke und Körper innerhalb eines Regimes des Bild- Schirms, der Bildschirme neu. Blickverhältnisse sind Machtverhältnisse, Verhältnisse von Kontrolle

und Disziplinierung von Blicken, Repräsentationen und Körpern. “Zweifellos beinhaltet jede Repräsentation, genauer gesagt der Akt, andere zu repräsentieren (und damit zu reduzieren), beinahe immer eine gewisse Art von Gewalt gegen den Gegenstand der Repräsentation (…). Der Akt oder Prozess des Repräsentierens impliziert Kontrolle, er impliziert Akkumulation, er impliziert Eingrenzung, er impliziert eine Art von Entfremdung oder Desorientiertheit seitens des Repräsentierenden.”